Ein Kristall ausschließlich aus Elektronen – die Wegner-Kristalle des „Heiligen Grals“ wurden erstmals beobachtet
Forschenden der ETH Zürich ist es gelungen, einen Kristall zu beobachten, der nur aus Elektronen besteht. Diese Wigner-Kristalle wurden bereits vor fast neunzig Jahren vorhergesagt, können aber heute nur noch in einem Halbleitermaterial direkt beobachtet werden.
Kristalle haben die Menschen zu allen Zeiten fasziniert. Wer hat nicht schon einmal die filigranen Muster einer Schneeflocke oder die perfekt symmetrischen Oberflächen eines Bergkristalls bewundert? Die Magie hört nicht auf, selbst wenn man weiß, dass all dies durch eine einfache Wechselwirkung zwischen Schwerkraft und Abstoßung zwischen Atomen und Elektronen verursacht wird. Ein Forscherteam um Atak Imamoglu, Professor am Institut für Quantenelektronik der ETH Zürich, hat einen ganz besonderen Kristall hergestellt. Im Gegensatz zu gewöhnlichen Kristallen besteht es ausschließlich aus Elektronen. Damit bestätigten sie eine vor fast neunzig Jahren gemachte theoretische Vorhersage, die seither als eine Art heiliger Gral der Physik der kondensierten Materie gilt. Ihre Ergebnisse wurden kürzlich in der wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht Natur.
Jahrzehnte alte Vorhersage
„Was uns an diesem Problem begeistert hat, ist seine Einfachheit“, sagt Imamoglu. 1934 zeigte Eugene Wiener, einer der Begründer der Symmetrietheorie in der Quantenmechanik, dass sich Elektronen in einer Substanz aufgrund ihrer gegenseitigen elektrischen Abstoßung theoretisch in regelmäßigen kristallähnlichen Mustern anordnen können. Die Logik dahinter ist ganz einfach: Ist die Energie der elektrischen Abstoßung zwischen den Elektronen größer als ihre kinetische Energie, ordnen sie sich so an, dass ihre Gesamtenergie möglichst klein ist.
Trotzdem blieb diese Vorhersage jahrzehntelang rein theoretisch, da sich „Wigner-Kristalle“ nur unter extremen Bedingungen wie niedrigen Temperaturen und sehr wenigen freien Elektronen im Material bilden können. Dies liegt zum Teil daran, dass Elektronen viele tausend Mal leichter sind als Atome, was bedeutet, dass ihre kinetische Energie in der gewöhnlichen Ordnung aufgrund der Wechselwirkung zwischen den Elektronen normalerweise viel größer ist als die elektrostatische Energie.
Elektronen im Flugzeug
Um diese Hindernisse zu umgehen, wählten Imamoglu und seine Mitarbeiter eine dünne Schicht aus halbleitendem Molybdändislenid, die nur ein Atom dick ist, damit sich die Elektronen nur in einer Ebene bewegen können. Die Anzahl der freien Elektronen können die Forscher verändern, indem sie eine Spannung an zwei transparente Graphenelektroden anlegen, zwischen denen ein Halbleiter platziert ist. Nach theoretischen Überlegungen sollten die elektrischen Eigenschaften von Molybdändisulfid die Bildung eines Wigner-Kristalls begünstigen – vorausgesetzt, das gesamte Gerät wird auf wenige Grad über dem absoluten Nullpunkt von minus 273,15 °C abgekühlt.
Es reicht jedoch nicht aus, einen Wigner-Kristall herzustellen. „Das nächste Problem bestand darin, zu beweisen, dass wir tatsächlich Wigner-Kristalle in unseren Geräten haben“, sagt Tomasz Smolensky, Erstautor der Publikation und Postdoc in Imamoglus Labor. Der Abstand zwischen den Elektronen wurde mit etwa 20 Nanometern berechnet, also fast dreißigmal kleiner als die Wellenlänge des sichtbaren Lichts, und ist daher selbst mit den besten Mikroskopen nicht lösbar.
Nachweis durch Exzitonen
Mit einem Trick gelang es den Physikern, trotz dieses geringen Abstands im Kristallgitter die regelmäßige Anordnung der Elektronen sichtbar zu machen. Dazu nutzten sie Licht einer bestimmten Frequenz, um in der Halbleiterschicht sogenannte Exzitonen anzuregen. Exzitonen sind Paare von Elektronen und „Löchern“, die aus einem fehlenden Elektron im Energieniveau der Materie resultieren. Die genaue Lichtfrequenz für die Bildung solcher Exzitonen und die Geschwindigkeit, mit der sie sich bewegen, hängt sowohl von den Eigenschaften des Materials als auch von der Wechselwirkung mit anderen Elektronen im Material ab – zum Beispiel bei einem Wigner-Kristall.
Die periodische Anordnung der Elektronen im Kristall erzeugt einen Effekt, der manchmal im Fernsehen zu sehen ist. Wenn sich ein Fahrrad oder Auto immer schneller bewegt, scheinen die Räder ab einer bestimmten Geschwindigkeit still zu stehen und drehen sich dann in die entgegengesetzte Richtung. Dies liegt daran, dass die Kamera alle 40 Millisekunden einen Schnappschuss des Rades macht. Verschieben die Bremsen eines regelmäßig beabstandeten Laufrades genau zu diesem Zeitpunkt den Speichenabstand, so scheint es, als ob sich das Laufrad nicht mehr dreht. In ähnlicher Weise erscheinen in Gegenwart eines Wigner-Kristalls die bewegten Exzitonen stationär, vorausgesetzt, sie bewegen sich mit einer bestimmten Geschwindigkeit, die durch die Elektronentrennung im Kristallgitter bestimmt wird.
Erste direkte Anmerkung
„Eine Gruppe theoretischer Physiker um Eugene Daimler von der Harvard University, der in diesem Jahr an die ETH wechselt, hat theoretisch berechnet, wie dieser Effekt in den beobachteten Anregungsfrequenzen von Exzitonen aussehen sollte – und genau das haben wir im Labor beobachtet.“ Imamoglu sagt: Im Gegensatz zu früheren Experimenten mit planaren Halbleitern, bei denen Wigner-Kristalle indirekt durch aktuelle Messungen beobachtet wurden, ist dies eine direkte Bestätigung der regelmäßigen Anordnung der Elektronen im Kristall. mit ihrer neuen Methode genau untersuchen, wie Wigner-Kristalle aus einer „Flüssigkeit“ ungeordneter Elektronen entstehen.
Referenz: „Wigner-Kristallsignaturen von Elektronen in einem Monolayer-Halbleiter“ von Tomasz Smolensky, Pavel E Dolgerev, Clemens Kohlenkamp, Alexander Popert, Yuya Shimazaki, Patrick Buck, Xiaobo Lu, Martin Kroner, Kenji Watanabe, Takashi Taniguchi, Ilya Esterley, Eugene Daimler und Aitt Imamoglu, 30. Juni 2021, hier verfügbar. Natur.
DOI: 10.1038 / s41586-021-03590-4
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